Sie bezeichnen sich als bekennenden Rheinländer. Was macht einen solchen aus?
Dass er mit dem eigenwilligen rheinländischen Humor zurechtkommt. Ich liebe die bissige Ironie des Rheinländers, die auf einen Außenstehenden nicht selten
respektlos und verletzend klingen mag, aber nett gemeint ist. In Rheinland ist es so:Je gröber dich eine Person beleidigt, desto größer die Zuneigung.
Was hat Sie dann in die brandenburgische Ebene verschlagen und wie lebt es sich dort?
Ein altes, liebebedürftiges Haus. Außerdem hatte ein anderer Lebensabschnitt begonnen. Auf einmal wusste ich mit den Angeboten
der Stadt nicht mehr viel anzufangen. Seitdem liebe ich die Arbeit im Garten und den weiten Horizont. Außerdem wird im Havelland
ein recht rheinländischer Humor gepflegt, wahrscheinlich fühle ich mich deshalb dort zu Hause. Gleichzeitig hat man die Hauptstadt
vor der Haustür, das ist natürlich ein Luxus.
Ihr Protagonist ist in Düsseldorf aufgewachsen, wollte aber so schnell wie möglich weg von dort. Woran liegt das und ging es Ihnen ähnlich?
Rasmus hat eine unglückliche Kindheit. Er ist ein Fremdkörper in seiner Familie und wird obendrein von seinem Bruder geqälut. Seine Abenteuerlust ist
also von Anfang an durch das Motiv der Flucht bestimmt. Bei mir waren es vor allem der Zeitgeist und Neugierde. Wer in den 90er Jahren etwas auf
sich hielt, wollte so schnell wie möglich weg von zu Hause. Als ich am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig angenommen wurde, war sofort klar,
wo die Reise hingeht.
Wann haben Sie sich entschieden, das Schreiben auf professionellem Niveau zu betreiben, und was hat das Studium am DLL dazu beigetragen?
Bei meinen ersten literarischen Gehversuchen war ich zwölf Jahr alt.
Zuerst waren es recht abenteuerliche Piratengeschichten. Bald probierte ich mich mit romantischen Gedichten aus, schrieb moralische Theaterstücke und
existentielle Kurzprosa. Natürlich hatte das alles keinen Mehrwert, dennoch stand für mich auf eine sehr naive Art und Weise fest, dass es das ist,
was ich einmal machen will und auch werde.
Allerdings stritt sich dieser Wunsch noch lange mit dem Verlangen Tierarzt zu werden.
Seit dem Erscheinen Ihres Debütromans „Das Versteck“ sind zehn Jahre vergangen. Was ist in der Zeit geschehen und wann haben Sie den Entschluss gefasst,
einen zweiten Roman zu schreiben?
Wir haben zwei Kinder bekommen. Die haben einen neuen Fokus in mein Leben gebracht. Das Schreiben habe ich dabei aber nie aufgegeben. Die ältesten Notizen
sind von 2015 und der eine oder andere Satz hat es sogar bis ins fertige Buch geschafft. Dann kamen Corona, der Lockdown und das Homeschooling.
Vielleicht kein guter Zeitpunkt, um einen Roman fertig zu schreiben. Doch auf einmal wollte die Geschichte zu Ende gebracht werden.
Es gibt viele unzutreffende Vorstellungen über das Schreiben. Aber wenn etwas erzählt werden will, findet es seinen Weg.
Die Titel Ihrer Romane, „Das Versteck“ und „Der Schwindel“, ähneln sich strukturell und auch inhaltlich, denn in „Der Schwindel“ spielt
das Verstecken eine zentrale Rolle. War das von vornherein so gedacht oder hat es sich ergeben?
Leider nein. Ursprünglich sollte Der Schwindel ein ganz anderes Buch werden, ein diskursiver Roman, in dem zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten
auf engem Raum mit der Anwesenheit des Anderen konfrontiert werden. Es sollte ein Ringen der Weltanschauungen entbrennen.
Doch da stimmte etwas nicht. Mir gefiel der Erzählton nicht. Die Figuren fühlten sich fremd an. Vielleicht war ich nicht der richtige Mann
für diesen Job. Es folgte ein schmerzhafter Prozess, in dem ich das Geschriebene immer wieder aufbrach, Fassung für Fassung mit der
Brechstange arbeitete, bis sich die heutige Form herausgeschält hatte.
Der Roman ist sehr filmisch erzählt, indem er viele intensive Szenen an ganz unterschiedlichen aufmacht, hat aber auch eine philosophische Ebene.
Er lebt also auch von der Reflexion. Gibt es dafür Vorbilder und Inspirationen?
Der Begriff Vorbild klingt immer so nach Nachahmung. Ich glaube, das kann in der Kunst nicht funktionieren. Aber ich liebe Nabokov. Und auch
Nabokov stellt gerne die Kamera auf und tut dann so, als wäre er überrascht davon, was seine Figuren da treiben. Außerdem habe ich über ihn
den unzuverlässigen Erzähler kennen und lieben gelernt. Er war vielleicht kein Vorbild für mich, aber ohne ihn wäre „Der Schwindel“
in dieser Form vielleicht nie entstanden.
Der Roman handelt von jemandem, der als junger Mann aus dem Rheinland in die Bretagne aufbricht, dann dazu gezwungen wird,
um die ganze Welt zu fliehen und in vielen Ländern zu leben. Am Ende zieht er sich in ein Haus auf einer Klippe in der Bretagne zurück,
wo er vorher noch nie war. Welche Rolle spielt Frankreich für ihn und für Sie?
Frankreich ist für Rasmus ein Sehnsuchtsort. Sein Leben in Düsseldorf ist trist und grau und voller Gefahren. In Frankreich hofft er dem zu
entkommen. Er träumt davon, zum ersten Mal das Meer zu sehen und ein neuer Mensch zu werden. Bei meinem Vater war es genauso. Alles, was mit
Frankreich zu tun hatte, liebte er. Als Kind war ich fast jeden Sommer in Frankreich, verbinde damit aber vor allem 14 Stunden auf der
Rückbank eines unklimatisierten Fiat Uno, eingeklemmt zwischen zwei größeren Brüdern. Um ehrlich zu sein, seit diesen Familienreisen
bin ich nie wieder nach Frankreich gereist.
Eine zentrale Frage im Roman ist die nach Gut und Böse. Glauben Sie, dass das absolute Kategorien sind, die möglicherweise von vornherein
im Menschen angelegt sind, oder sind sie relativ und situativ zu betrachten?
Ein kurzer Blick in die Geschichte genügt, um zu erkennen, dass Gut und Böse keine absoluten Kategorien sind,
sondern von der Gesellschaft definiert werden und von der Perspektive abhängig sind. Deswegen denkt im Krieg
keine Seite, dass sie die Bösen sind, sondern beide Parteien sind davon überzeugt, dass sie die Guten sind.
Bei Scheidungen verhält es sich genauso und auch in allen kleinen Konflikten. Der Schwindel kreist also vielmehr
um die faszinierende Fähigkeit des Menschen, sich selbst stets von Schuld freizusprechen.
Rasmus gerät auf seiner Flucht in diverse Länder und dramatische Situationen, in denen er oft nur bestehen kann, weil
er sich als ein anderer ausgibt. Am Ende scheint er nicht mehr genau zu wissen, wer er eigentlich ist.
Unser Ich ist nicht in Stein gemeißelt, sondern in Bewegung. Im Grunde ist es nicht mehr als eine Erzählung und wir sind der
Erzähler. Aber wir unterliegen äußerlichen Einflüssen, zum Beispiel was unsere Partner oder Kollegen über uns sagen. Und
auch extreme Erlebnisse können eine Rolle spielen. Und so ist es Rasmus ergangen. Was er erlebt hat und wie er sich verhalten
hat und was daraus geworden ist, passt nicht zu dem, wie er sich selbst sieht. Deswegen hadert er mit sich.
Wann und wo schreiben Sie am liebsten/besten?
Früher habe ich vor allem abends geschrieben. Gerne wirklich bis spät in die Nacht. Inzwischen schätze ich aber die frühen
Morgenstunden, gerade wenn der Kopf noch ganz benebelt ist. Ich sitze dabei klassisch am Schreibtisch oder mit Tablet und
Stift auf dem Sofa. Das letzte Drittel vom Schwindel wurde handschriftlich auf dem Tablet geschrieben.
Gibt es schon Pläne für den nächsten Roman und wird der schneller fertig werden?
Ja, die gibt es. Die Hauptfigur wird ein Kommissar sein, der kein Kommissar mehr ist, so viel kann ich
schon verraten. Und es wird um die humanitäre Katastrophe gehen, die sich an der europäischen Außengrenze abspielt.
Ich hoffe natürlich, dass es nicht wieder 10 Jahre dauert.
Aber das habe ich nach dem ersten Roman auch gesagt. Im Moment arbeite ich noch an der Handlung und hoffe, die richtige Erzählstimme zu finden.
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